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Reemtsma im Krieg: das Krim-Album

Die Krim und ihr Fotograf

Am 22. Juni 1941 begann der Krieg gegen die Sowjetunion. Drei Monate später erreichten die Truppen der Wehrmacht den Zugang zur Halbinsel Krim. Im Oktober und November 1941 wurde die Krim fast vollständig von deutschen Truppen besetzt. Die deutsche Herrschaft dauerte mehr als zwei Jahre. In dieser Zeit blieb die Krim aber immer ein bedrohtes Gebiet. Bereits im Herbst 1943 begann die Rückeroberung der Krim durch die Rote Armee, im April/Mai 1944 räumten die geschlagenen deutschen Einheiten die letzten Brückenköpfe.

Die Krim war und ist eine Schnittstelle zwischen dem europäischen und dem asiatischen Kulturraum. In historischer Zeit ist sie von zahlreichen Völkerschaften besiedelt worden, die vielfältige archäologische, kulturelle und religiöse Spuren hinterlassen haben. Aus diesem Grund konnte die nationalsozialistische Ideologie zahlreiche mythologische Traditionslinien ziehen. Auch die geschichtlichen Verbindungen zwischen Deutschland und der Krim wurden propagandistisch überhöht. Über die einst auf der Krim siedelnden Ostgoten wurde „Taurien“ ins Germanentum eingemeindet. Geographisch und kulturell bildet die Halbinsel bis heute ein eigenständiges Siedlungsgebiet. Innerhalb des 1991 entstandenen ukrainischen Staats besitzt die Krim den Status einer Autonomen Republik.

Der Blick der Deutschen auf die einheimische Kultur spiegelt sich in den Fotografien des Krim-Albums. Mehr als die Hälfte der insgesamt 87 Fotografien ist touristischen Sujets gewidmet. Die Kultur des Islam und die Lebensweise der Krimtataren sind in der Bildauswahl durch Bilder von Moscheen, Tatarendörfern und ihren pittoresk erscheinenden Bewohnern („Typen der Südküste“) stark vertreten. Auch der Palast der Khane in Bachcisaraj aus dem 15. Jahrhundert ist Gegenstand mehrerer Albumseiten. Kriegsereignisse werden mit wenigen Ausnahmen ausgeblendet. Dies alles deutet darauf hin, dass das Album erst angelegt wurde, als die Firma Reemtsma die Krim bereits verlassen hatte. Es ist keine tabaktechnische Dokumentation, sondern eher eine Art Erinnerungsalbum.

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Das Tabakreferat im Dienst

Paul Schätz und Helmut Wagner (Foto links oben) gehörten zu den ersten Reemtsma-Angestellten auf der Krim. Sofort nach ihrer Ankunft in Simferopol im Dezember 1941 organisierten sie die Verladung des erbeuteten Rohtabaks ins Reich. Nach der Stabilisierung der militärischen Lage leiteten sie den Wiederaufbau der Tabakfabriken der Krim für die Firma Reemtsma in die Wege.

Der Reemtsma-Angestellte Otto Wiesemann (Foto links unten) war vor dem Krieg als aktiver Propagandist der SA hervorgetreten. Im Krieg leitete er das Tabakreferat des Wirtschaftskommandos Krim. Nach dem Krieg musste Wiesemann aus politischen Gründen vom Reemtsma-Konzern entlassen werden.


Der Autor des Albums, in dem sich Aufnahmen aus den Jahren 1942 und 1943 befinden, ist nicht bekannt. Die Vertrautheit, mit der Konzernpersonal fotografiert wird, legt nahe, dass der Autor der Geschäftsführung oder dem Aufsichtsrat der Firma Reemtsma nahestand. Gleichzeitig lassen die Vielzahl der verwendeten Papierformate und vergrößerungstechnische Details auch vermuten, dass die Aufnahmen von mehreren Personen stammen, deren Bilder in dem Album zusammengefügt wurden.

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Ehemalige Synagoge der Krimtschaken in Karasubazar (heute Belogorsk). Die Krimtschaken sind eine turksprachige Volksgruppe mosaischen Glaubens, die seit dem frühen Mittelalter auf der Krim ansässig war. Die meisten Krimtschaken wurden Ende 1941 von deutschen SS- und Polizeieinheiten ermordet. Die Synagoge stammt aus dem Jahr 1516 und wurde vermutlich 1941 zerstört.

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Das Foto von ihrem Umbau zu einem Tabakpunkt dokumentiert den pragmatischen Umgang der Firma Reemtsma mit dem Vorgefundenen. Heute beherbergt das Gebäude der ehemaligen Synagoge die Abteilung für ansteckende Krankheiten des Städtischen Krankenhauses Belogorsk.

 

Die Firma Reemtsma auf der Krim

Für die deutsche Kriegswirtschaft stand die Eroberung der Krim nicht nur aus militärischen Gründen im Vordergrund. Die ausgedehnten Ackerflächen im nördlichen Teil der Halbinsel (der „Steppenkrim“) sollten von deutschen Siedlern in Besitz genommen werden. Der südliche Teil der Krim (die „Gebirgskrim“) war wegen der vielfältigen landwirtschaftlichen Erzeugnisse (Tabak, Wein, Obst, Früchte) für die Versorgung des Deutschen Reiches und der im Osten kämpfenden Truppe von besonderer Bedeutung.

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Einbringen der Tabaksetzlinge
mit motorisierten Pflanzmaschinen …

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… auf einer ehemaligen Tabaksowchose bei Simferopol, vermutlich im Frühjahr 1943.

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Mitarbeiter der Firma Reemtsma (zumeist in Zivil) …

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… beim Inspektionsgang über die Felder, vermutlich im Juni 1942.


Aufgrund ihrer Nähe zur Ostfront erhielt die Krim nie den Status eines besetzten Gebietes mit deutscher Zivilverwaltung. Sie blieb immer militärisches Operationsgebiet, in dem Zivilisten nicht erwünscht waren. Dies machte die Tätigkeit deutscher Wirtschaftsunternehmen schwierig. Die Weiterführung der Landwirtschaft und die Wiederingangsetzung von Fabriken erfolgten deshalb durch spezielle Dienststellen der Wehrmacht. In Simferopol, der Hauptstadt der Krim, wurde zu diesem Zweck das „Wirtschaftskommando Krim“ eingerichtet, das seinerseits ein eigenes Tabakreferat unterhielt.

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„Transmissionen der alten Fabrik“

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„Das wird der Raum für Küchenvorräte“

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„Der Hülsen- und Stopfmaschinensaal im Entstehen“

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„Die ersten Tabakmischungen kommen an“

Umbau und Instandsetzung der Zigarettenfabrik Simferopol im Sommer 1943. Der Maschinenpark stammt vermutlich aus bereits geräumten „feindbedrohten“ Zigarettenfabriken.


Zu den vordringlichen Aufgaben des Tabakreferats gehörte die Beschlagnahme der Tabakernte 1941, die Vorbereitung der Frühjahrsaussaat 1942 und die Instandsetzung der Zigarettenfabriken in den Städten Simferopol und Feodosia. Zudem mussten in den Hauptanbaugebieten über 40 Sammelpunkte für die Ablieferung von Rohtabak („Tabakpunkte“) aufgebaut werden. Für diese Aufgaben stellte die Firma Reemtsma Tabakspezialisten zur Verfügung. Hierbei handelte es sich zumeist um Mitarbeiter der Firma, die zur Wehrmacht überwechselten und einen Wehrmachtsrang erhielten. Leitende Mitarbeiter wurden mit dem Status eines „Sonderführers“ versehen. Die Sonderführer der Wehrmacht waren Offiziere ohne militärische Offiziersausbildung, die einen weitgehend auf fachspezifische Tätigkeiten nichtmilitärischer Art (zum Beispiel in der Landwirtschaft) beschränkten Offiziersrang innehatten. Formal waren beinahe alle der auf der Krim eingesetzten Mitarbeiter der Firma Reemtsma Angehörige der Wehrmacht. Die Fotos zeigen, dass sie auch in Zivilkleidung auftraten. Insgesamt kamen etwa dreißig bis vierzig Konzernangestellte als Soldaten oder Offiziere auf die Krim.

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„Zwei schneidige DKW der Krim-Orient-Tabak-Anbau G.m.b.H.“

Im Rückblick ein Abenteuer: eine Fahrt durch Partisanengebiet an die Südküste der Krim im Sommer 1943. Die „Krim-Orient-Tabak-Anbau GmbH“ war eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Firma Reemtsma.

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Touristische Aufnahmen: Bachcisaraj
Seit dem Mittelalter Hauptstadt der krimtatarischen Herrschaft (Krimkhanat).

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Kurkulet: Typen der Südküste
Die Bilder zeugen vom Interesse des Fotografen an der Lebensweise der Krimtataren. Trotz ihrer offensichtlichen Armut erfolgt in der fotografischen Darstellung keine Herabwürdigung der abgebildeten Personen …

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Sie figurieren als (wenn auch fremdartige) Elemente des Lebens auf der Krim. Anders als im Fall der — im Album an keiner Stelle vertretenen — Juden erscheint eine Koexistenz offensichtlich möglich.

 

Text:  Rainer Fröbe, Alla Ehrlich

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