Die Nationalsozialisten sahen im Tabakkonsum der Deutschen grundsätzlich eine Gefahr für die „Volksgesundheit“. Ab 1938 versuchten sie sogar, das Rauchen – vor allem unter Frauen – durch gezielte Maßnahmen einzudämmen. Dazu zählten Rauchverbote in öffentlichen Gebäuden und Werbebeschränkungen. Dies änderte jedoch nichts daran, dass sich der durchschnittliche Zigarettenverbrauch in Deutschland zwischen 1930 und 1940 von rund 500 auf 1000 Zigaretten pro Kopf verdoppelte. Im Februar 1943 wurden alle Veranstaltungen gegen den „Tabakmissbrauch“ offiziell eingestellt. Das NS-Regime hatte einsehen müssen, dass die Zigarette gerade im Krieg für viele Menschen ein wichtiges Psychopharmakon darstellte. Auch Hitlers Plan, in Deutschland ein staatliches Tabakmonopol zu errichten, wurde nicht verwirklicht.
Ein Flugzeug als Geschenk für die HJ.
Vlnr.: Philipp F. Reemtsma, Baldur v. Schirach, Hermann F. Reemtsma.
Hamburg-Fuhlsbüttel August 1933
Besuch des preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring im Werk Bahrenfeld.
Altona 1936
Die Anti-Tabak-Politik der Nationalsozialisten war für die Zigarettenindustrie nicht existenzbedrohend und wurde sogar durch NS-Parteiorganisationen unterlaufen. Die SA hatte die Versorgung ihrer Mitglieder mit Zigaretten vertraglich geregelt: Die Braunhemden erhielten finanzielle Unterstützung von der Dresdner Zigarettenfabrik Sturm, an der auch SA-Chef Röhm beteiligt war; im Gegenzug verpflichteten sie sich, ausschließlich „Sturm“-Zigaretten (Hauptmarke: „Trommler“) zu rauchen. Die Reemtsma-Konzernleitung fühlte sich von der SA angegriffen und rang um ein gutes Verhältnis zu den NS-Machthabern. Bereits 1932 hatte sich Philipp Reemtsma in einem persönlichen Gespräch mit Hitler über die Schaltung von Reemtsma-Werbeanzeigen in der NS-Presse verständigt. Und 1933/34 kam dem Konzern der preußische Ministerpräsident Hermann Göring in einer noch weitaus bedrohlicheren Lage zu Hilfe: Das preußische Justizministerium erhob gegen Reemtsma den Vorwurf, den Betrieb „Batschari“ in Baden-Baden 1929 mit Hilfe von Bestechung und Steuerhinterziehung übernommen zu haben. Göring ließ die Ermittlungen niederschlagen – und erhielt von Reemtsma dafür mehr als 12 Millionen Reichsmark an Zuwendungen sowie Kunstschätze und Geschenke. (Für diese „fortgesetzte Bestechung“ Görings wurde Philipp Reemtsma 1948 zunächst vom Landgericht Hamburg verurteilt, das Verfahren wurde jedoch nach erfolgreicher Revision während der zweiten Verhandlung eingestellt.)
Betriebsappell und Verleihung der Goldenen Fahne der Deutschen Arbeitsfront.
Hamburg 3. Mai 1940
Auch die SA und andere Parteiorganisationen wurden mit teilweise sechsstelligen Spendensummen bedacht; der Hitler-Jugend schenkte Reemtsma im Sommer 1933 ein Flugzeug. Gleichzeitig kam die Firma dem Regime auch propagandistisch entgegen. Als Sammelbilderalben brachte Reemtsmas „Cigaretten-Bilderdienst Altona-Bahrenfeld“ in hoher Auflage Bilderserien wie „Kampf ums Dritte Reich“ und „Adolf Hitler. Bilder aus dem Leben des Führers“ auf den Markt. Im Herbst 1933 unterstützte Reemtsma durch öffentliche firmeninterne Massenhochzeiten das Beschäftigungsprogramm der NS-Regierung: Mehr als 350 Reemtsma-Mitarbeiterinnen ließen sich in Altona, Dresden und Baden-Baden gemeinsam trauen; für eine „Ehestandsbeihilfe“ in Höhe von je 600 Reichsmark räumten sie in den Fabriken ihre Arbeitsplätze, die anschließend mit Männern besetzt wurden. Von der Deutschen Arbeitsfront wurden die Reemtsma-Betriebe mehrfach ausgezeichnet.
Massenhochzeit von Werksangehörigen in Bahrenfeld. Die Brautpaare bekamen ein Familiendarlehen von Reemtsma, wenn die Frauen ihren Arbeitsplatz für ihren Mann zur Verfügung stellten.
Altona 28. Oktober 1933
Festmahl in der Lösehalle bei der Massenhochzeit. Gleiche Veranstaltungen gab es an den Standorten Dresden und Baden-Baden.
Altona 28. Oktober 1933
Wirtschaftlich konnte Reemtsma seinen Marktanteil nach der Vereinigung mit „Haus Neuerburg“ auf 65 Prozent (1937) ausbauen; der Gewinn des Unternehmens verzehnfachte sich von 1933 bis 1939 auf 114 Millionen Reichsmark. Reemtsma profitierte auch durch „Arisierungen“ jüdischer Betriebe. Durch die Versorgung der Wehrmachtsoldaten mit Zigaretten im Krieg behielt Reemtsma auch dann noch ein wichtiges Standbein, als der allgemeine Tabakkonsum ab 1942 in Folge der mangelhaften Rohtabakversorgung radikal zurückging (zwei Drittel aller deutschen Zigarettenfabriken wurden ab 1942 stillgelegt).
1939 wurde Philipp F. Reemtsma zum Leiter der „Fachuntergruppe Zigarettenindustrie“, einer der Zwangskörperschaften der NS-Wirtschaft, und außerdem von Göring zum „Wehrwirtschaftsführer“ ernannt, was seine Stellung noch weiter festigte. Seit 1934 saß er zudem im Aufsichtsrat der Deutschen Bank und konnte dort bis 1944 weiter Kredite aufnehmen. Im Zuge des „Vierjahresplans“ von 1936 hatte Reemtsma seine Aktivitäten auch auf die Hamburger Fischwirtschaft, die Holzwirtschaft und das Reedereiwesen ausgeweitet. 1941 leitete er die Reprivatisierung der mittlerweile in Reichsbesitz befindlichen Hapag und übernahm die Mehrheitsanteile. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges dehnte der Reemtsma-Konzern seine Aktivitäten außerdem auf die von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiete aus.
In verschiedenen Werken von Reemtsma waren auch ZwangsarbeiterInnen eingesetzt und das Unternehmen unterhielt an einigen Standorten eigene Lager. Das genaue Ausmaß des Zwangsarbeitereinsatzes ist aber noch nicht erforscht. Fotografien zu diesem Thema befinden sich nicht im Archiv.
Luftschutzübung im Werk: Entgiftung nach einem Gasangriff.
Im Oktober 1933 erschien in der Berliner Illustrirten Zeitung unter dem Titel „Ein Betrieb rüstet auf“ eine Bildreportage über die vorbildlichen Luftschutzvorbereitungen im Reemtsma Hauptwerk Bahrenfeld.
Altona September 1933